02.03.2015 | Bundesmitgliederversammlung

Resolution

BAföG und Sozialleistungen für Azubis verfassungswidrig

NRV verlangt: Kurzfristig volle Berechtigung auf SGB-II-Leistungen für hilfebedürftige Studierende und Azubis

Die Bundesmitgliederversammlung der Neuen Richtervereinigung hält eine kurzfristige Beseitigung der aktuellen verfassungswidrigen Situation für hilfebedürftige Auszubildende und Studierende sowie eine umfassende Reform des Ausbildungsförderungsrechts für erforderlich. Die volle Öffnung der SGB II-Leistungen für Studierende und Azubis kann kurzfristig Abhilfe schaffen. Die mittelfristige Reform muss die Ausbildungsförderung umfassend für die betriebliche, die schulische und die universitäre Erstausbildung sowie die Qualifizierung für Arbeitnehmer und Arbeitslose sozial ausgewogen ausgestalten.

Dafür sprechen die folgenden Gründe.

Für Auszubildende und Studierende gilt uneingeschränkt das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nach Art. 1 und 20 GG. Die BAföG-Leistungen und die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) haben neben ihrer ausbildungsfördernden Aufgabe eine existenzsichernde Funktion zu erfüllen. Dies folgt insbesondere aus dem Ausschluss von Auszubildenden aus den Grundsicherungsleistungen des SGB II (sog. Hartz IV) und SGB XII (Sozialhilfe)

Die BAB oder BAföG-Leistungen sind tatsächlich nicht existenzsichernd. Das Leistungsniveau ist so gering, dass die Aufgabe der Existenzsicherung evident verfehlt wird. Es wurde nicht in einem Verfahren bestimmt, das nachvollziehbar eine realitätsgerechte Deckung des existenziellen Bedarfs erkennbar werden ließe. Die Auszubildenden und Studierenden, die für ihre jeweilige Ausbildung geeignet und zugelassen sind, können im Lichte der Berufswahlfreiheit in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip nicht auf Verzicht oder Abbruch der Ausbildung verwiesen werden, um ihre Existenz zu sichern.

Als monatlicher Höchstbedarf ohne Unterkunftskosten gilt seit Oktober 2010 für Studierende an Hochschulen ein Betrag von 373 EUR, für andere Studierende und Azubis von nur 348 Euro. Eine Anpassung ist seit 2010 nicht erfolgt, während im Zeitraum von 2010 bis Januar 2015 die Grundsicherungsleistungen von 359 EUR auf effektiv 408 EUR (399 € + Warmwasserpauschale), also um 12 Prozent erhöht wurden. Bereits jetzt ist daher erkennbar, dass die erst für 2016 vorgesehene Erhöhung der BAföG-Leistungen um 7 Prozent keine hinreichende Abhilfe dieser verfassungswidrigen Situation schaffen wird.

Zudem enthält der Regelbedarf nach BAföG und BAB in deutlich größerem Umfang einen ausbildungsbezogenen Bedarf (Semester-/Prüfungsgebühren, Schul-/Lehr-/Studienmaterial etc) von mindestens 114,40 EUR. Leistungen für ausbildungsbezogene Bedarfe stehen für die Existenzsicherung nicht zur Verfügung. Das SGB II berücksichtigt im Regelbedarf ab Januar 2015 einen Bildungsbedarf von nur 1,53 EUR; für Schüler wurde deshalb zusätzlich das Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt. Bei einem Vergleich des SGB-II-Regelbedarfs mit dem BAB-Bedarf ohne Ausbildungsanteil von 233,60 EUR ergibt sich: Die BAB muss um 58,5 Prozent (BAföG um 57 Prozent) erhöht werden, um überhaupt Hartz-IV-Niveau zu erreichen.

Für Studierende über 25 Jahre kommt als weiterer Nachteil der Wegfall der Möglichkeit der Familienmitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung hinzu, so dass dieser Personenkreis die Krankenversicherung teilweise aus dem Regelbedarf zu finanzieren hat, weil selbst der Zuschuss nach dem BAföG die Mindestbeiträge für die studentische Krankenversicherung nicht abdeckt.

Von einer methodisch schlüssigen, transparenten, nachvollziehbaren und hinreichend begründbaren Ermittlung eines realitätsgerechten Bedarfs kann bei dieser Tatsachenlage nicht ansatzweise ausgegangen werden. Damit muss auch der Ausschluss der Auszubildenden und Studierenden von den Grundsicherungsleistungen als verfassungswidrig angesehen werden.

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