Cannabislegalisierung vollenden – Rechtssicherheit schaffen – Stellungnahme
Die Neue Richter*innenvereinigung e. V. (NRV) ruft den Bundesrat sowie die Justiz- und Innenminister der Bundesländer auf, die Cannabislegalisierung nicht weiter zu verzögern. Eine gesetzliche Regelung zur Straffreiheit des Besitzes und Anbaus von Eigenkonsummengen war seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.03.1994 geboten. Die vom Bundestag beschlossene Neuregelung des Umgangs mit Cannabis setzt diesen Regelungsauftrag nach 30 Jahren endlich um. Eine weitere Verzögerung durch Anrufung des Vermittlungsausschusses ist unangebracht.
Administrativer und justizieller Aufwand durch die Amnestieregelung in Art. 316o EGStGB-E i.V.m. Art. 313 EGStGB können nicht ins Feld geführt werden, um eine Verschiebung des Gesetzes zu rechtfertigen. Zum einen war der Bundesrat bereits am 29.09.2023 mit dem Gesetzesentwurf befasst (BR-Drs. 367/23). Dass die Regelung organisatorischen Aufwand für die Justiz bedeuten würde, hatte er bereits zu diesem Zeitpunkt erkannt. Es wäre also möglich – und geboten – gewesen, Vorkehrungen für den Gesetzeserlass zu treffen. Die mangelnde Digitalisierung der Verfahrenspflege und die unzureichende Erfassung der Gründe von Verurteilungen können ebenfalls nicht zulasten der Verurteilten gehen: Wäre die Justizverwaltung bereits im 21. Jahrhundert angekommen, wären vollstreckungsfähige Urteile durch Textverarbeitungssoftware automatisch durchsuchbar, sodass leicht festgestellt werden könnte, wer wegen des Besitzes von bis zu 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum bzw. 50 Gramm Cannabis zuhause verurteilt worden ist. Wer den Fortschritt verschläft, der muss nacharbeiten. Im Übrigen sind in Verfahren, in denen rechtskräftig verhängte Strafen noch nicht vollstreckt worden sind, die Vollstreckungsvoraussetzungen vor Einleitung der Vollstreckung einer Freiheits- oder Geldstrafe zu prüfen, was ohne signifikanten Mehraufwand auf die mögliche Straffreiheit erstreckt werden kann
In Fällen der tateinheitlichen Verurteilung mit einem anderen Delikt (Art. 313 Abs. 3 EGStGB) ist die Strafbarkeit wegen des Besitzes von Konsummengen Cannabis kaum strafbestimmend. Diesbezüglich hätte der Bundesrat einen Kompromissvorschlag machen sollen, statt an solch einem Detail den Fortschritt der Gesetzgebung scheitern zu lassen. Denkbar wäre, durch Art. 316o EGStGB nur Art. 313 Abs. 1, 2, 4 EGStGB entsprechend zur Anwendung zu bringen und Fälle der tateinheitlichen Verurteilung von der Amnestieregelung auszunehmen oder nur auf Antrag von Verurteilten zu prüfen.
Die Neue Richter*innenvereinigung e. V. (NRV) weist auf die Diskrepanz zwischen den Befürchtungen erheblichen Mehraufwands der Justiz durch die Amnestieregelung einerseits und den Rufen nach weiterer Verschärfung der Bußgeld- und Strafnormen des CannG andererseits hin. Tatsächlich droht der Justiz durch noch immer unbestimmte oder ausufernde Sanktionsnormen weiterhin ein zum Gesundheits- und Jugendschutz nicht gebotener Verfolgungsaufwand. Dass die „nicht geringe Menge“ (§ 34 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 3, 4 KCannG-E) noch immer keiner bestimmten Regelung des Gesetzgebers zugeführt (dazu ausführlich https://www.neuerichter.de/geplante-legalisierung-von-cannabis-muss-optimiert-werden/) und weiterhin ein Konsumverbot vor Jugendeinrichtungen (§ 5 Abs. 2 KCannG-E) verhängt wird und deshalb verfolgt werden muss, wird die Justiz weit mehr und dauerhaft belasten. Dass das Konsumverbot auf die „Sichtweite“ der Jugendeinrichtungen beschränkt wurde, wird diffizile Feststellungen im Einzelfall notwendig machen. Ist es den Ländern an einer echten Entlastung der Justiz und einer für die Bürger*innen transparenten, nachvollziehbaren Neuregelung des Umgangs mit Cannabis gelegen, dann sollten sie sich für die Konkretisierung dieser Anordnungen einsetzen.
Für die Fachgruppe Strafrecht der NRV
StA Simon Pschorr
Abgeordneter Praktiker Universität Konstanz