Bessere Personalausstattung statt Symbolpolitik
Stellungnahme der Neuen Richter*innenvereinigung (NRV) zum Entwurf einer Verordnung über die verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten für Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz
Die Neue Richter*innenvereinigung (NRV) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Entwurf einer Verordnung über die verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten für Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz (AsylZustVO). Die darin aufgegriffenen und weitere denkbare Überlegungen zur Verfahrensbeschleunigung aus der aktuellen Diskussion im Länderkreis können grundlegende Weichenstellungen für die ganze Gerichtsbarkeit und den noch leistbaren Rechtsschutz einleiten und absehbar auch die Arbeit der Gerichtspräsidien betreffen. Angesichts allgegenwärtiger Debatten um Beschleunigungsoptionen gerichtlicher Verfahren ist zunächst daran zu erinnern, dass die in diesem Zusammenhang aufgezeigten Lösungsansätze nicht zu Lasten des effektiven Rechtsschutzes gehen und keine schon jetzt absehbar nicht erfüllbaren Erwartungen geweckt werden dürfen. Dies würde den Rechtsstaat weiter schwächen. Auch muss die im Übrigen weiter zu stärkende Unabhängigkeit der Justiz unangetastet bleiben.
Wir unterstützen es zwar, wenn über effektivere Bearbeitungsmöglichkeiten von Asylverfahren nachgedacht und auf große Laufzeitunterschiede zwischen den Verwaltungsgerichten reagiert werden soll. Anlass für den Entwurf sind aber auch die bei der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (MPK) am 6.11.2023 beschlossenen Zielvorstellungen von sechs bzw. drei Monate langen Verfahrenslaufzeiten in Asylsachen (Beschluss, Seite 6), die in sich bereits die Gefahr weiterer Verschlechterungen für Asylrechtsschutzsuchende bergen und ohne deutliche Personalaufstockungen zu verlängerten Laufzeiten anderer Verfahren führen werden. Der Entwurf ist schon jetzt absehbar gänzlich ungeeignet, diese Ziele zu erreichen. Die beschlossenen äußerst ehrgeizigen politischen Laufzeiterwartungen sind unvereinbar mit der bisher fehlenden Bereitschaft, für das hierfür zwingend notwendige zusätzliche Personal zu sorgen. Das Ministerium der Justiz hat selbst zutreffend festgestellt, dass mit Blick auf den geplanten Stellenaufbau beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auch die Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der vorhandenen Personal- und Mittelausstattung derzeit nicht ausreichend vorbereitet sind und sich die Zielvorgaben nur durch eine Verzahnung organisatorischer Maßnahmen mit einem wenigstens zeitweiligen Personalaufbau erreichen lassen. Die Ursachen für die langen Laufzeiten und der Ungeeignetheit der Verordnung zur Erreichung des politischen Ziels sind nach einer Analyse des Ministeriums der Justiz also bekannt.
Wir wissen um das jahrzehntelange Bemühen von Politik und Gerichtsverwaltungen, mögliches Beschleunigungspotential auszuschöpfen, wodurch insbesondere durch Einzelrichter*inneneinsatz und Rechtsmittelbeschränkung gerade im Asylrecht die Rechtsvereinheitlichung bereits stark gelitten hat. Eine mit der geplanten Verordnung verfolgte Konzentration von Asylverfahren gehört in Nordrhein-Westfalen seit langem gerade nicht mehr zu den als geeignet angesehenen Beschleunigungsinstrumenten. Dementsprechend ist zur effektiveren Abarbeitung dieser Verfahren in Nordrhein-Westfalen seit 1991 die vorherige Konzentration dieser Verfahren auf vier der sieben erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte des Landes gerade aufgehoben worden (LT-Drs. 11/526, S. 6). Wir sehen in den seit Jahren vorwiegend aus kleineren Bundesländern kommenden Konzentrationsüberlegungen kein auf das bevölkerungsreichste Bundesland übertragbares relevantes Beschleunigungspotential. Zu erwartende Beschleunigungseffekte dürften allenfalls so gering ausfallen, dass sich der damit verbundene Verwaltungsaufwand als unverhältnismäßig erweisen dürfte. Hinzutreten nachteilig absehbar weite Anreisen für Beteiligte sowie das bereits oben erwähnte Risiko, der Exekutive könnten sachwidrige Erwägungen zur Verteilung richterlicher Geschäfte unterstellt werden. Überdies führen nach langjährigen Erhebungen und Erfahrungen Richter*innenwechsel regelmäßig zu deutlichen Verzögerungen. Wenn zudem – was aktuell noch nicht geplant ist – bestimmte eingangsstärkere Herkunftsstaaten eingearbeiteten und hierfür ausreichend spezialisierten Richter*innen entzogen würden, um an anderen Gerichten mehrere Spruchkörper einzurichten, in denen neue Richter*innen eingearbeitet werden müssten, wären Beschleunigungseffekte erst recht nicht mehr zu erwarten. Etwaige Beschleunigungseffekte durch die derzeit nur vorgesehene Konzentration einiger hundert Verfahren aus eingangsschwachen Herkunftsländern an einzelnen Verwaltungsgerichten werden ohne die Prolongation der kw-Vermerke und zusätzliches, gezielt einzusetzendes Personal nicht ansatzweise ausreichen, um die politisch angestrebten Laufzeiten zu erreichen. Hierüber besteht zwischen den Präsidentinnen und Präsidenten der Verwaltungsgerichte und dem Ministerium der Justiz dem Vernehmen nach Einigkeit!
Für die auch aus unserer Sicht zu langen Laufzeiten in Nordrhein-Westfalen sind nicht ineffektive Strukturen an den Verwaltungsgerichten ursächlich, sondern zuvorderst, dass in den Jahren 2016 und 2017 insgesamt etwa 50.000 Verfahren mehr eingegangen sind, als trotz aller Stellenaufstockungen seinerzeit erledigt werden konnten. Schon seinerzeit war die Grenze der Belastung unserer Kolleginnen und Kollegen so deutlich überschritten, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch heute noch unter der – auch im Bundesvergleich – in diesen beiden Jahren offensichtlich unzulänglichen Personalausstattung leidet. Die
Verwaltungsgerichtsbarkeit schiebt politisch verantwortet Altbestände vor sich her, weil die fehlende Richter*innenarbeitskraft auch in den Folgejahren nicht nachträglich geschaffen worden ist. Angesichts der politischen Bedeutung, den die kürzlich von der MPK erneut bekräftigten Laufzeiterwartungen haben, muss das Ministerium der Justiz, das hierfür zweifelsfrei erforderliche Personal gegenüber dem Minister der Finanzen und dem Ministerpräsidenten deutlich vernehmbar einfordern und sich hierfür auf das „Versprechen“ im Beschluss der MPK berufen, wonach auch die Länder (und nicht nur der Bund bezogen auf das BAMF) dafür die personellen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen werden. Dem Eindruck, der aktuell vom Ministerium der Justiz durch breite Presseinformation vom 29.5.2024 erzeugt wird und im Widerspruch zu den eigenen Erkenntnissen steht, durch die mit der geplanten Verordnung geplante weitere Spezialisierung in der Bearbeitung asylgerichtlicher Verfahren an den Verwaltungsgerichten könnten auch nur ansatzweise Effizienzgewinne erzielt werden, durch die nicht nur der zusätzlich erwarteten Eingangsbelastung aus der massiven Aufstockung des Personals beim BAMF begegnet, sondern sich zudem die politisch angepeilten Laufzeiten von sechs bzw. drei Monaten in Asylsachen erreichen ließen, tritt die Neue Richter*innenvereinigung mit Nachdruck entgegen. Das politische Versprechen schnellerer Verfahrenslaufzeiten in Kenntnis dessen, dass diese ohne bessere Personalausstattung nicht zu erreichen sind, muss geweckte Erwartungen der Bevölkerung in den Rechtsstaat enttäuschen. Das aber schadet dem Rechtsstaat insgesamt und ist nicht zuletzt angesichts der jüngeren politischen und gesellschaftlichen Entwicklung unbedingt zu vermeiden.
Darüber hinaus ist bei der Umsetzung effektiverer Bearbeitungsmöglichkeiten von Asylverfahren und der Reduzierung großer Laufzeitunterschiede zwischen den Verwaltungsgerichten von einer zu häufigen Nachjustierung gerade bezogen auf schon jetzt absehbare Änderungen abzusehen. Der Verordnungsgeber darf schon mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Justiz, die es aus unserer Sicht weiter zu stärken gilt, nicht den Eindruck vermitteln, er wolle auf Asylverfahren zum Ausgleich von Belastungsunterschieden an die Stelle der hierzu eigentlich berufenen Präsidien der Gerichte treten.
Überdies ist bisher noch nicht konkret anstehenden, aber bereits in der Diskussion befindlichen Personalverschiebungen in Richtung der strukturell zügigeren und erledigungsstärkeren Verwaltungsgerichte eine deutliche Absage zu erteilen. Dies nicht nur, weil es nicht die Verwaltungsgerichte als Standortgröße, sondern die Kolleginnen und Kollegen sind, die mit ihrer Arbeitsleistung auf qualitativ hohem Niveau zur Sicherung unseres Rechtsstaats beitragen. Daher und auch wegen vielschichtiger Gründe für ungleiche statistisch an den einzelnen Verwaltungsgerichten erhobene Erledigungsleistungen dürfen weniger erledigungsstarke Standorte auch nicht als verantwortlich dafür dargestellt werden, dass sich ein ohne die erforderliche Personalausstattung unrealistisches Ziel nicht erreichen lässt. Die Beschleunigungsbemühungen des Ministeriums dürfen keinesfalls sachwidrige Anreize für eine politisch möglicherweise gewünschte oberflächliche richterliche Arbeitsweise bieten, über die die Politik nicht verfügen darf, weil die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist (Art. 92 GG). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird durch eine derartige Kommunikation auf dem Rücken nicht nur einzelner Kolleg*innen, sondern ganzer Gerichtsstandorte weiter geschwächt. Auch wird hierdurch von offensichtlichen politischen Ausstattungsversäumnissen abgelenkt. Die ausschließliche Ausrichtung der hinter der Verordnung stehenden Zielsetzung einer Verkürzung von Verfahrenslaufzeiten lässt den Eindruck entstehen, es gehe trotz zahlreicher aktueller und künftig neuer unionsrechtlicher Anforderungen an die Führung von rechtlich anspruchsvollen Asylverfahren letztlich nur noch darum, Verfahren so schnell wie möglich zu erledigen, selbst wenn die Erledigungserwartung mit Blick auf das erwartete Laufzeitziel weit über der statistischen und bei angemessener Arbeit realistischen Grenzbelastung liegt. Hierdurch wird eine nicht mehr dem gesetzlichen Auftrag nach Recht und Gesetz entsprechende Bearbeitung begünstigt und die bloße Erledigungszahl sowie die statistische Laufzeit unabhängig von methodischer Richtigkeit contra legem zum neuen Maßstab für richterliche Arbeit erhoben, weil die Politik den Preis für selbst gesetzte Ziele nicht mehr zahlen möchte. Dem treten wir als Neue Richter*innenvereinigung mit Nachdruck entgegen.