Beamten- und Disziplinarzuständigkeitsverordnung JM (ZustVO JM)
Siebte Änderungsverordnung Az: 2000 – Z 332
Die Neue Richtervereinigung (NRV) NRW bedankt sich für die Gelegenheit, zur beabsichtigten Änderung der Beamten- und Disziplinarzuständigkeitsverordnung JM (ZustVO JM) Stellung nehmen zu können.
Hierzu ist aus unserer Sicht folgendes zu anzumerken:
I. Grundsätzliches:
Die Justiz in NRW hat in den letzten Jahren vielfache Herausforderungen erfolgreich gemeistert und sich als starke und unabhängige Säule des Rechtsstaats erwiesen. Die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz gerade in Zeiten zunehmend populistischer Angriffe erfordert jedoch konkrete und strukturelle Absicherungen, die in nahezu allen Ländern Europas rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit sind. Initiativen von Seiten der Politik bleiben hierzulande jedoch leider aus. Die von der NRV stets erhobene Forderung nach Umsetzung rechtsstaatlicher Standards wie der Selbstverwaltung der Justiz, der sich auch die anderen großen Berufsverbände angeschlossen haben, wird in Deutschland weiterhin nicht umgesetzt.
Der vorgelegte Entwurf zur Änderung der Beamten- und Disziplinarzuständigkeitsverordnung bedeutet nun sogar noch eine zusätzliche Schwächung der Unabhängigkeit der Justiz in Nordrhein-Westfalen. Das Ministerium zieht die Überbeurteilung aller Bewerber*innen auf Stellen ab der Besoldungsstufe R3 und aller Regelbeurteilungen ab dieser Besoldungsstufe an sich und verschafft sich so noch mehr Einfluss auf die Personalauswahl. Dieser Einfluss erschöpft sich nicht mehr nur in der Besetzung von Spitzenämtern der Gerichtsleitung, sondern erstreckt sich – durch die vorgesehene Überbeurteilung der Vorsitzenden aller Obergerichte einschließlich aller Bewerber*innen auf diese Ämter – auch auf den originären Bereich der Rechtsprechung. Dem Ministerium als Exekutive sind damit nicht nur Auswahl und Ernennung der Richter*innen selbst vorbehalten, sondern künftig auch noch die Überprüfung der für die Personalentscheidung maßgeblichen Grundlage. Dies führt zu einer unangemessenen Kompetenzverdichtung für die Exekutive und einer so nicht hinnehmbaren Vertiefung von überholten, dem Rechtsstaat nicht gemäßen justiziellen Organisationstrukturen.
Gerade in Zeiten, in denen die EU, und mit ihr die Bundesrepublik Deutschland, dem Abbau rechtsstaatlicher Standards in Polen und Ungarn mit großer Sorge begegnet und bemüht ist, ihn zu begrenzen, darf es nicht Ziel sein – im Widerspruch zur Rechtsentwicklung in der EU -, die Abhängigkeit der Justiz von der Exekutive noch zu verstärken. Die Landesregierung und nachgeordnete Behörden sind in zahlreichen Gerichtsverfahren nicht nur in der Verwaltungsgerichtsbarkeit Partei oder können auf andere Weise am Ausgang eines Rechtsstreits interessiert sein. Vor diesem Hintergrund hat der EuGH wiederholt entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der Justiz gegenüber der Exekutive gewährleisten und dabei jegliche unmittelbare und mittelbare Einflussnahmemöglichkeit durch Exekutive und Legislative ausschließen müssen.
Das Vorhaben ist daher schon aus den vorgenannten grundsätzlichen und verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus abzulehnen.
Im Einzelnen
Auch die konkrete Ausgestaltung der Zuständigkeitsbestimmung begegnet durchgreifenden Bedenken.
Da hinreichende eigene Erkenntnismöglichkeiten des Ministeriums zur fachlichen Qualifikation der zu Beurteilenden nicht ersichtlich sind, ist bereits nicht nachvollziehbar, wie der angegebene Verordnungszweck der Wahrung landeseinheitlicher Bewertungsmaßstäbe tatsächlich realisiert werden soll.
So bleibt unklar, anhand welcher Kriterien und welchen Sachverstandes die Erkenntnis gewonnen werden soll, dass eine (Erst-) Beurteilung vom landeseinheitlichen Bewertungsmaßstab abweicht. Eine eigene Sachkunde des Ministeriums ist hierbei nicht nur hinsichtlich der Fachgerichtsbarkeiten fraglich. Das Ministerium kennt im Zweifel weder die Bewerber*innen noch den tatsächlichen Leistungsstand in allen relevanten Facetten der maßgeblichen Beurteilungs-AV. Angesichts der potentiellen Vielzahl der künftig vom Ministerium zu beurteilenden Fälle stellt sich zudem die Frage, wie der erhebliche Mehraufwand personell geleistet werden soll. Sollte hingegen eine Beschränkung der Überbeurteilung tatsächlich nur auf Einzelfälle beabsichtigt sein, werden sich hierfür kaum Auswahlkriterien finden lassen, die einer Rechtmäßigkeitsprüfung standhalten.
Ebenso unklar ist, ob entsprechend dem bisherigen Regelungsgehalt des Entwurfs tatsächlich die Bestimmung des § 6 Abs. 1 Nr. 10 ZustVO – und damit die originäre Überbeurteilungskompetenz der Mittelbehörden – unverändert bleiben, mithin die neu geschaffene Beurteilungskompetenz des Ministeriums nur hinzukommen soll. Eine solche Ausweitung der bisherigen Beurteilungspraxis auf die Erstellung von zwei Überbeurteilungen würde einen doppelten Aufwand ohne ersichtlichen Erkenntnisgewinn bedeuten. Soll die ministerielle Zuständigkeit hingegen die bisherige Zuständigkeit der Mittelbehörden ersetzen, wird es hierzu ungeachtet der fehlenden Sinnhaftigkeit zumindest einer weitergehenden und eindeutigen normativen Ausgestaltung bedürfen.
Besonders bedeutsam ist jedoch, dass mit der Zuständigkeitsverlagerung auf die Exekutive insbesondere für den Bereich der R3-Stellen die besondere Befürchtung ausgelöst wird, dass es in den Beurteilungen nun zu einer unangemessenen Gewichtung von Verwaltungstätigkeiten gegenüber Rechtsprechungstätigkeit führen wird. Das birgt nicht nur die Gefahr einer den tatsächlichen Rechtsprechungsaufgaben des auszuübenden Amtes nicht hinreichend gerecht werdenden Personalauswahl. Es schürt zudem schon im Vorfeld das Misstrauen der Richterschaft gegenüber den Motiven solchermaßen ministerial gesteuerter Personalentscheidungen. Die Vermutung einer rechtsstaatswidrigen zunehmend politisch motivierten Gestaltungsmacht bei der Besetzung von Beförderungsämtern drängt sich förmlich auf. Der so bewirkte Vertrauensschaden stünde in keinem Verhältnis zu einem bedenklichen und im Ergebnis ohnehin zweifelhaften Gewinn an Steuerungsmöglichkeit.
Überdies beinhaltet die vorgesehene Änderung eine Regelung des Beurteilungsverfahrens und damit einer Beurteilungsrichtlinie; sie unterliegt folglich gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 12 LRiStaG NW dem Mitbestimmungsrecht der Hauptrichterräte. Würden mit der Neuregelung die Mitbestimmungsbefugnisse nicht beachtet, stellt dies zudem eine rechtlich wie justizpolitisch nicht zu akzeptierende Beeinträchtigung kollektiver Rechte der Richterschaft dar.
Es gibt unbestreitbaren Reformbedarf im Beurteilungswesen. Die NRV setzt sich seit langem für ein transparentes und faires Beurteilungssystem mit Einführung des Vier-Augen-Prinzips ein. Auch wird von allen Gremien und richterlichen Berufsverbänden die Anpassung der Anforderungsprofile an ein modernes Richter*innenberufsbild gefordert. Vordringlich ist daher die Umsetzung dieser längst fälligen Reformen und insbesondere die Überarbeitung der Beurteilungs-AV.
Das Vertrauen in das Ansehen und die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt in Nordrhein-Westfalen wird nur durch ein strikt an der Bestenauslese orientiertes faires und transparentes Beurteilungs- und Beförderungswesen gewährleistet, nicht durch den Ausbau ministerieller Steuerung.
Einer Änderung der Überbeurteilungskompetenz zugunsten des Ministeriums für Justiz wird durch die NRV daher abgelehnt.
Felix Helmbrecht Nuria Alkonavi Claudia Schönenbroicher Ingrid Heinlein
für den Sprecher*innenrat der NRV NRW